"Es war Liebe auf den ersten Blick"
Sammlerin und Galeristin Elke Dröscher im Gespräch mit Bettina Götz für ARTMAPP über das Landhaus Michaelsen in Hamburg.
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Die Grand Tour der Moderne führt in Hamburg zu einer strahlend weißen Villa hoch über dem Falkensteiner Elbufer. Das Landhaus Michaelsen von Karl Schneider gilt mit seinen collageartig zusammengesetzten kubischen Formen und der gebogenen Panoramascheibe als Pionierbauwerk des Neuen Bauens. Nur dem tatkräftigen und unermüdlichen Engagement Elke Dröschers ist es zu verdanken, dass das in den 1970er-Jahren dem Verfall preisgegebene Gebäude in seiner ursprünglichen Form wiederhergestellt werden konnte. Für ARTMAPP sprach Bettina Götz mit Elke Dröscher.

Wie haben Sie das Landhaus Michaelsen entdeckt und was bewog Sie, das Gebäude vor dem endgültigen Verfall zu retten?
Es war Liebe auf den ersten Blick. – Zugewuchert, die Fensteröffnungen vernagelt, umgeben von einem unüberwindlichen Drahtzaum, ließ dieses außergewöhnliche Bauwerk trotz des erbarmungswürdigen Anblicks seine Bedeutsamkeit erkennen. Der Wunsch, in absehbarer Zeit und fortan konstant meine umfangreiche historische Puppen- und Puppenstubensammlung sowie mein langjähriges Engagement für die konstruktive Kunst der 1920er-Jahre in Hamburg zeigen zu können, gewährleistete der Hansestadt eine sinnvolle Nutzung des mehrfach dem endgültigen Abriss entkommenen Hauses. Am 12. Juni 1985 unterzeichnete ich einen Nutzungsvertrag für die Zeit von 75 Jahren. Darin verpflichtete ich mich, das Gebäude aus eigenen Mitteln instand zu setzen, zu unterhalten und mit einem Museum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Was ist für Sie das Besondere an der Architektur Karl Schneiders?
Sicherlich ist es kein Zufall, wenn in den zahlreichen zeitgenössischen Beschreibungen des Bauwerks ausdrücklich auf den einzigartigen Bezug zur Landschaft hingewiesen wird. Karl Schneider fügte das Haus in die topografische Situation der Geestkante ein, indem er den viergeschossigen Turm in die Hügelkuppe hineinbaute, teilweise Sandboden abtrug und eine zweistufige Terrassenanlage sowie einen Stützwall anlegte. Leider liegen uns keine Notizen oder Aufzeichnungen von ihm selbst oder den beteiligten Garten- und Landschaftsarchitekten vor – zeitgenössische Fotoaufnahmen finden sich erst aus der Zeit kurz vor Fertigstellung. Somit können wir die ursprüngliche landschaftliche Situation nur erahnen. Es sind vor allen Dingen die Aufzeichnungen damaliger Publizisten, die uns den Dialog zwischen Himmel, Fluss, Vegetation und Bauwerk beschreiben.
Viele dieser zeitgenössischen Publikationen zeigen Sie ab Mai in der Ausstellung „Haus Michaelsen. Architekturmoderne in Entstehung und Rezeption“ ...
Das viel gerühmte, 1923 erbaute Landhaus am Falkenstein stand exemplarisch für eine neue Architekturentwicklung: Bereits 1925 veröffentlichte Walter Gropius dieses außergewöhnliche Landhaus in Band 1 der „bauhausbücher“ und es sollte damals neben dem Chilehaus zum meistveröffentlichten Hamburger Gebäude des 20. Jahrhunderts werden. Die Publikationen von 1925 bis 1932 in Originalausgaben sowie eine Reihe von Plänen, Dokumenten und Vintageprints werden ausgestellt und erläutert.
Sie wohnen auch privat in der Villa. Wie ist es, in dieser Architekturikone zu leben?
Die einzigartige Verbindung von Natur und Architektur ist ein tägliches Erlebnis, darüber hinaus bedarf es aber zugleich der unablässigen fürsorglichen und tatkräftigen Aufmerksamkeit. Die bauplanerischen und bauphysikalischen Besonderheiten des Bauwerkes, etwa eine 18 Meter lange Kastenregenrinne ohne Gefälle oder eine fehlende Isolierung der großen zweistufigen Terrassenmauern – um nur einige zu benennen –, sind eine ständige Herausforderung. Und so sind Liebe und Respekt für das gesamte Anwesen dauerhaft gefragt.
Die Villa beherbergt heute Ihre einzigartige Sammlung an historischen Puppen und Puppenstuben. Wie kam es zu dieser Sammelleidenschaft?
Als Sammlerin „von Geburt an“ durfte ich bereits in meiner Kindheit auf dem Dachboden im Hause meiner Großeltern zwischen eingelagerten Kisten stöbern und sogar den einen oder anderen Gegenstand „sammeln“: Mich beeindruckte an Puppenstuben schon immer die sorgfältige und kunstvolle Verarbeitung der alltäglichsten Gebrauchsgegenstände, die von Generation zu Generation weitergereicht wurden. Das sicherte das Überleben der Dinge, die so zu einem Fortleben der Geschichte der Menschen, der Häuser und Stuben, des Wohnens und Arbeitens in vergangenen Zeiten wurden. Diese Geschichten, die anhand von Dingen erzählt werden, gaben auch meiner Fantasie viel Raum. In einer antiken Puppenstube, die ich Jahrzehnte später geschenkt bekam, entdeckte ich das naturgetreue Abbild eines historischen Lebensraums, und dies wies mir nicht nur hinsichtlich meiner Platznot den Weg, sondern der verkleinerte Maßstab erleichterte mir eine systematische Konzeption. Ich erkannte für mich die Möglichkeit, im Kleinen das Große zu sammeln und in der Vielschichtigkeit der Guckkastenwelt meines Museums am Falkenstein erfahrbar zu machen.
Sie sind nicht nur Sammlerin, Designerin und Autorin, sondern haben schon 1968 in Hamburg eine Galerie gegründet. Dabei spielte auch der Bezug zum Bauhaus eine wichtige Rolle.
Bereits während meines Studiums 1961 an der Kunstakademie Stuttgart auf dem Areal des Weißenhofs führte mich meine Neugier zur teilweise zerstörten oder noch verfremdeten Weißenhofsiedlung. Der Bauhaus-Gedanke interessierte mich sehr und so war mein Galerieprogramm mit Konkreten, Konstruktiven, Farbfeldmalerei und natürlich den 1920er-Jahren auch sehenswert für einstige Bauhäusler – Max Bill gehörte 1968 zu einem meiner ersten Besucher und anlässlich der legendären Bauhaus-Ausstellung in Stuttgart stellte er mich sogar Gropius als „junge Galeristin aus Hamburg“ vor … Max Bill selbst konnte ich dann bereits 1970 mit Skulpturen und Gemälden ausstellen – ein freundschaftlicher Kontakt, der ihn 1988 auch zum Falkenstein führte. Hier habe ich mit ihm die eindrucksvollen Details dieses Bauwerks diskutieren können. In den 50 Jahren meiner Galerietätigkeit war es immer wieder dieser lebendige Diskurs mit Künstlern, Kuratoren und Sammlern. Einen Raum für Kunst zu schaffen, gemeinsam zu entdecken, auszuwählen und zu inszenieren, das gehört für mich zur intensivsten Erfahrung – diese „Schule“ des Sehens und der Begegnungen begann 1968 mit Gründung meiner Galerie und sollte mit meinen Raumerfahrungen beim Erhalt des Hauses Michaelsen von Karl Schneider nicht enden.